Thomas Merton war einer der letzten großen Mystiker des letzten Jahrhunderts, sein Leben steht für die Zeit, als noch Interreligiöser Dialog Hoffnung weckte.
In einem Badezimmer nach dem Ventilator zu greifen, war offenbar keine gute Idee, vor allem dann, wenn das Badezimmer in Thailand war. Thomas Merton wurde am 10.12.1968 in Bangkok regungslos im Bad aufgefunden, wohl war er durch einen Stromschlag gestorben, als er nach einem Vortrag im Bad seines Hotelbungalows den Ventilator wegen eines Schwächenafalls heruntergerissen hatte.
Es war seine letzte, große Reise nach Asien, genauer nach Thailand und Indien. An Bord des Flugzeuges notierte Thomas Merton auf dem Hinflug in sein Tagebuch, er flöge dorthin, wo er in diesem Leben noch nie war. Es liest sich wie der Aufbruch eines Jugendlichen, der in eine große Stadt zieht, um dem Dorf zu entkommen. Für einen spirituell Suchenden aus dem Westen wären solche Worte angesichts einer Asienreise nicht ungewöhnlich gewesen, nur war Thomas Merton katholischer Mönch und Trappist, Geistlicher, Autor und dazu einer der angesehendsten christlichen Mystiker der USA.
Abbildungen von ihm zeigen einen freundlichen, bulligen und kräftigen Mann, der mühelos von seiner Statur her hätte Metzger oder Polizist sein können, das scharfe Gegenteil dessen, wie gemeinhin ein Mystiker auszusehen hat. In seiner Jugend sympathisierte Thomas Merton mit dem Kommunismus, später, als Mönch, blieb er politisch engagiert, auch in seinem Tagebuch wird er das scharfe Auge auf die Dinge beibehalten. Thomas Merton hatte auch zuvor den Dalai Lama in Nordindien besucht, ihr Gespräch ging über die verschiedenen Aspekte ihrer jeweiligen Traditionen. Nach der Begenung mit dem Chatral Rimpoche, einen kontemplativ lebenden Lamaisten, notiert Thomas Merton, habe es die beiderseitige Übereinkunft gegeben, im nächsten Leben, wenn nicht in diesem, die Buddhaschaft zu erlangen.
Dazwischen werden Messen gelesen, Flugreisen gemacht, es gibt Seminarbesuche, die Enge der institutionellen Kirche und scharfsinnige Beobachtungen. Reflexionen über buddhistische Praxis folgen und die Perspektiven eines christlich kontemplativen Klosters in Asien werden erörtert — in den Tagebucheinträgen erscheint es, als gerate Thomas Merton insgeheim in immer größere Strudel, die sich darin niederschlagen, dass seine weiteren Reise und Lebenspläne immer fahriger und unruhiger werden, mal möchte Thomas Merton mit einem Schiff weiterreisen, mal mit seinen Brüdern Weihnachten in Gethsemani sein, dann überlegt er, wie er mit seiner angesammelten Lektüre, die jedes Fluggepäck sprengt, verfahren soll. Es scheint, als wären die immer weiter ausufernden Reisewünsche und Zukunftspläne immer größere Korrekturen einer Seele, die ihren Kurs nicht mehr halten kann, so wie ein Rudergänger immer stärker am Rad drehen muss, je mehr er seine innere Ruhe verliert.
Eines der Ziele diese Reise war die Konferenz in Bangkok, denn, so führt Thomas Merton in seinen Notizen zu dieser Ansprache aus, “wir befinden uns selbst in einer Krise, an einem Punkt der Entscheidung. Wir sind in Gefahr, ein geistliches Erbe zu verlieren, das in tausend Generationen von Heiligen und Kontemplativen sorgfältig angesammelt worden ist. Es gehört zu den besonderen Aufgaben eines Mönches in der modernen Welt, die kontemplativen Erfahrungen lebendig zu erhalten und dem Menschen des technischen Zeitalters einen Weg offenzuhalten, die Unberührtheit seiner inneren Tiefe wiederherzustellen.” In seiner letzten Rede, die er in Bangkok unmittelbar vor seinem Tode hielt, zitierte er Marcuse und Erich Fromm um über den entfremdeten Menschen zu referieren. Zuletzt formulierte Merton die Utopie, Mönche und Nonnen könnten die conversio morum in Klöstern als utopischen Keimzellen gemeinsamen Lebens praktizieren, um ein neuer, nicht mehr beschädigter Mensch zu werden.
An der Konferenz in Bangkok nahmen auch der Jesuit und ZEN-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle und der Benediktinermönch Dom Bede Griffiths teil — Thomas Merton hatte vielleicht keine Zeit mehr, sie in seinem Tagebuch zu erwähnen. Bede Griffiths lebte bescheiden bis 1993 in einer kleinen Hütte im Saccidananda Ashram in Südindien und Thomas Mertons Leichnam kehrte in einem amerikanischen Armeeflugzeug zurück. Noch vor Weinachten wurde Thomas Merton in Gethsemani, seinem Heimatkloster, begraben.
Mertons Leben beschreibt die ausserordentlich kurze Spanne, in der im 20. Jahrhundert ein interreligiöser Dialog versucht wurde und auch für einige möglich war, weil spirituelle Tiefe, Interesse, Offenheit und Kenntnis der eigenen spirituellen Überlieferung auf allen Seiten noch vorhanden waren. Jetzt, vierzig Jahre später, sind Utopie eines Dialoges und erfahrene Mystik in nahezu allen Religionen verschwunden. Die Wenigen, die an einem Dialog gearbeitet haben, sind aus allem öffentlichen Interesse verschwunden.
Thomas Merton, Asiatisches Tagebuch, Benziger Verlag Zürich, 1987.
Zitat S.198