Claqueurinnen der Ohnmacht

Literatur

Es beginnt mit dem Anflug auf Dschiddha. Ein letzter Drink im Flugzeug. Frances hofft, von ihrem Mann abgeholt zu werden. Wenn nicht, sagt sie, nähme sie ein Taxi. Das ginge nicht, sagt der Steward, der die Gläser abräumt, einer Frau sei es verboten in ein Auto zu einem fremden Mann zu steigen. Aber, wirft Frances ein, das sei der Job des Taxifahrers, Leute zu befördern, oder? Und schon verliert Frances allen rechtlichen Status:

„You’re a woman, aren’t you? You’re not a person anymore.“ 

Frances landet in einer Welt voller Unsicherheit. Ein Land, in dem man auch als Gastarbeiter eine Ausreisegenehmigung braucht. Drückende Hitze, Straßen voller großer Autos, groteske Neubauten, die ohne Rücksicht auf Kosten und guten Geschmack irgendwo errichtet werden. Shopping Malls als einzige Ausflucht und hastig errichtete Siedlungsböcke, deren Abrisstermin schon überschritten wurde, errichtet für Gastarbeiter und ihre Familien.

Fromme Artikel, wie Muslime sich zu verhalten hätten, Hände, die Dieben humaner Weise unter Anästhesie amputiert werden, und einen kafkaeske Verwaltung. Man durchlaufe dort Stadien wie Auflehnung, Widerstand und billigende Resignation, sagen diejenigen aus Westen, die dort schon länger arbeiten und wohnen. Dabei wird nur heimlich unter sich Alkohol produziert und getrunken.

Für die Frauen allerdings ist es noch schlimmer. Jeder Gang vor die Tür ohne männlichen Begleiter wird zu einer Tortur. Eindeutige Gesten und obszöne Einladungen legen Territorien des Begehrens und der männlichen Vorherrschaft fest. Es gibt außerhalb der Wohnungen für Frauen keine sicheren Räume, es sei denn, sie haben einen männlichen Begleiter.

Frances und ihr Mann sind zum Geldverdienen da, der Mann arbeitet bei einer Firma, die für saudische Ministerien baut, während Frances in ihrer Wohnung bleiben muss, zusammen mit den obligaten Schaben, dem Geruch von Desinfektionsmittel und hässlichen Möbeln, die zusammen mit der Wohnung vom Arbeitgeber gestellt worden waren. Frances schreibt an ihrem Tagebuch und stellt ihre langsame Veränderung fest. Sie findet Bekannte, andere Frauen, Muslimas, die auch in diesem Haus wohnen und sich arrangiert haben mit ihrem Leben als Muslima. Ja, keine Heirat unter ihnen geschah aus Liebe, aber man hat Ansprüche an den Mann und schließlich sind ja die Dinge geordnet. Ja, man muss eben die Muster, nach denen man lebt, schützen und schätzen. Man wird doch versorgt, oder? Die Strategien, mit denen die neuen Freundinnen sich in ihrem Leben als Muslima eingerichtet haben, erscheinen resignativ, doch sind es Frauen, die den Westen durchaus kennen und trotzdem ablehnen.

Trotz rigider Justiz ist Sicherheit durchaus brüchig, eigenartige Dinge passieren im Haus, es wird eingebrochen, missmutige Bauarbeiter kleben hässliche Kacheln an die Wände und der Hausbesitzer, der ungefragt plötzlich in der Wohnung steht, wirkt wenig Vertrauen erweckend. Eine Wohnung steht leer und erweckt Ängste. Aber das sind äußere Dinge, entscheidend ist, dass die innere Stabilität der Protagonistin ins Wanken gerät.

Hilary Mantel, die lange in Dschiddha gelebt hatte, hat in Eight Months on Ghazzah Street ein Panoptikum der Angst und der Düsternis erschaffen. Es ist grandios, weil es nur beschreibt und nicht wertet, weil die Autorin es ausgehalten hat, fremde Sicht einfach als solche stehenzulassen. Wer sich auf diesen Text einlässt, taucht nicht nur in die Abgründe autoritärer Systeme und Denkweisen ein, auch die mentalen Strukturen, mit denen sich Menschen in ihnen arrangieren, werden sichtbar. So sichtbar, dass alles, erst die eigene Position und der eigene Dünkel, in einem düsteren Nebel, der zuletzt alle erfasst, zu verschwinden drohen.

Selten ist freiwillige Unterwerfung unter die eigene Ohnmacht in dieser Brillanz beschrieben worden.

Bilder: Mit Künstlicher Intelligenz (Stable Diffusion) erstellt. Zitat: Eight Months on Ghazzah Street