Sleeping rough

Fiction

Eigentlich dachte Markus nur an das Abendessen, das er später zuhause vorbereiten würde. Genauer gesagt, es würde ein Tiefkühlgericht und dazu frische Tomaten geben, jetzt nach dem langem Tag im Büro. Er war noch ein wenig herumgelaufen um in dem Supermarkt frische Tomaten samt Käse zu kaufen und ein wenig die kalte Luft einzuatmen. Warum Markus jetzt durch die Strassen ging, wusste er nicht, die Gegend war ja weder schön, noch angenehm. Funktionale Wohnhäuser, die während des sogenannten Wirtschaftswunders errichtet worden waren, hässliche Quader mit überquadratischen Fenstern und breite Straßen, dazu breite Bürgersteige, auf denen kaum jemand lief, weil sie nichts für die Augen boten.

»Weichen sie nicht aus.«

Es war grau und feucht und plötzlich schrak Markus auf. Gleich würde er entsetzt einen Obdachlosen auf einer Bank schlafen sehen, er würde voller Zweifel in das gerötete Gesicht starren und nicht wissen was tun. Markus beschleunigte seine Schritte, obwohl hier selten Obdachlose schliefen. Obwohl Markus bei einer großen Firma angestellt war und sich als sozial abgesichert wähnen durfte, schauderte ihm. Es war dasselbe Schaudern, als ob er irgendwann in einem Altenheim in einem Zimmer Zeit absitzen müsste, in dem der langsam fahrende Reinigungsroboter neben dem Fernseher und dem Röcheln und Husten der Übrigen die einzige Abwechslung wäre.

»Sie gehen weiter.«

Markus beschloss schneller zu gehen. In einer Feuerwehreinfahrt, die mit einem Tür verschlossen war, war ein Schlafsack. Warum lag ausgerechnet hier jemand? Markus machte einen Schritt in die Feuerwehreinfahrt. Tatsächlich, neben einer Treppe lag ein Mann, eingehüllt in einen Schlafsack. Eine Tasche stand an der Mauer, davor ein paar Packungen Kekse und eine leere Flasche. Der Mann sah auf. Markus erschrak. Das Gesicht war rot und die Haut aufgeschwemmt, dazu eine auffällige Narbe, die sich die Wange herabzog. War das nicht der, der so gelacht hatte, als eine Fahrradfahrerin von einem Auto angefahren wurde? War er das? Dieses kaputte, von Alkohol und Kälte gerötete Gesicht und dieses hämische, widerwärtige Lachen? Nur noch ein hämischer Ausdruck, der wie eine böse Grimasse aussah. Aber da war doch noch die auffallende Narbe auf der Wange? Der Mann sah ihn an, einen Moment sahen sie sich in die Augen, plötzlich überraschte sich Markus mit dem Wunsch, zuzutreten, einfach in diese runde, rote Fresse zu treten, immer wieder, bis Blut aus dem Mund und aus der Nase rennen würde. Was hatte er, Markus, mit dem verpfuschten Leben eines Penners zu tun, dass ihn jetzt eine solche Wut übermannte?

»Lösen sie sich allmählich aus dieser Situation.«

Allein der Gedanke an diese widerliche Häme machte es unmöglich, irgendetwas anderes als bloße, klamme Kälte zu empfinden. Als ob es ein böse Maske aus einer Groteske gewesen war, jetzt schutzlos und unbeobachtet von weiteren Passanten. Jeder Jugendliche, der seine Wut ausprobieren mochte, konnte sich jetzt schadlos halten…

»Ich geleite sie jetzt langsam raus. Stellen sie sich vor sie machen eine Tür zu. Und dann öffnen sie die Augen.«

Markus öffnete die Augen. Er lag immer noch auf der Decke auf dem Teppich. Über ihm hing ein Kronleuchter, die Decke war in einem blassen Gelb gestrichen. Neben ihm saß die Frau mit den Goldringen auf dem Stuhl. Sie saß aufrecht und ihre Hände waren gefaltet.

»Und jetzt sehen sie sich an, was sie gesehen haben. Sehen sie die Situation an, die sie gesehen haben, sie haben soviel erzählt.«

»Sie haben soviel über sich erzählt «

Die Geschichte ist fiktional und ist keineswegs mit der auf dem Foto gezeigten Praxis verknüpft.