Ränder der Neuzeit, Teil 5

Denken / Theologie

Devil’s Contract heisst das von James Wood im The New Yorker gelobte Buch von Ed Simon, das eine andere Geschichte über uns schreiben will: In der Neuzeit wurde der Pakt mit dem Teufel en gros unterzeichnet und der Preis des Paktes, unser Ende, der sei jetzt fällig. Es ist natürlich nicht nur die Geschichte des Einzelnen, denn wer hat nicht wissentlich hie und da Unrecht akzeptiert oder getan und dabei die unklare Linie des Paktes mit dem Bösen überschritten? Ed Simon geht weiter, der okkulte Pakt sei die wahre, mit Leidenschaft erzählte Geschichte der Neuzeit, eben jener Zeit als es dem Menschen zunehmen glückte, die Welt zu beherrschen. Wer sich diese Gedanken zu eigen machen will, wird auch leichter den Schatten verstehen, der seit dem faustischen Pakt beharrlich die Moderne begleitet. Ed Simon legt eine Spur, die in ein Denken führt, das in absoluten Kategorien urteilt und alle glitzernden Erfolge der Neuzeit mit einer fast fundamentalistischen Verve als immer tiefere Verstrickungen in ein absolutes Unheil sehen will.

Als Ausgang führt Ed Simon die Versuchungen Christi ein, in der der Teufel je nach Version der Evangelien entweder alle Reiche der Menschheit Christus verspricht oder ihm rät sich vom Tempel zu stürzen, damit, wenn er von den Engeln gerettet würde, jeder sähe, welche Verbündeten er habe. Nur habe der Menschensohn, dem dieser Pakt angeblich angetragen wurde, ihn rundheraus verweigert. Solle Israel eher zugrunde gehen als mit Gewalt überzeugt werden? Das sei laut Ed Simon das Rätsel der vertrackten christlichen Metaphysik. Die Heilsgeschichte verspräche das Himmelsreich einem jedem als Möglichkeit, aber die Tragik der menschlichen Geschichte sei, dass nahezu alle daran scheitern es zu erreichen: „Because who, if hungry, wouldn’t turn those stones to bread (or something better) at least some of the time, if offered the possibility? The temptation in the wilderness is the Faustian bargain that Christ declined, but which the rest of us continually sign.“ (Devil’s Contract, 2.Kapitel)

Bei Dostojewski wird in den Die Brüder Karamasow der Großinquisitor den wiedergekommenen Christus fort schicken. Mit einem Gebäude der Macht, die vielleicht auch nur dazu dienen will, den Menschen zu helfen, ist der wiedergekehrte Messias inkompatibel.

Merkwürdigerweise war dieser umfassende Blickwinkel dem frühen Mittelalter fremd. Es ist Anfangs in den Legenden des Mittelalters nicht der wissentliche Pakt mit dem Bösen, der in die Verdammnis führt, sondern die Versuchung des fälschlich Vernünftigen, der aus falscher Demut sein Amt dem Unwürdigen überlässt. Hie und da wird etwas geblendet, etwas vorgegaukelt und das Schiff des Lebens gerät außer Kurs. Aber, am Ende des Lebens retten Beichte und Vergebung alles. Allmählich werden über die Jahrhunderte die Versuchungen greifbarer, vagierende sexuelle Vorstellungen und Heimsuchungen (succubui) und reichlich schwarze Magie peppen das Arsenal des Bösen auf bis am Ende des Mittelalters in der scheinbar so lichten Renaissance das Böse wahrhaft haptische und olfaktorische Qualitäten erhält. Der Kontrakt mit Satan erhält unheimliche, irreversible Züge.

Es gibt alte Legenden, Berichte, über das Unheimliche Europas des sechzehnten Jahrhunderts. Einige Alchimisten rochen nach Schwefel wie der Teufel. Betrieben sie schwarze Magie? In der Zeit, als Europa seine blutige Hand auf die Schätze der Welt zu legen begonnen hatte und Gold, Silber, Seide, Pfeffer und Porzellan in die Warenhäuser Europas strömte schrieb ein Sohn eines Schuhmachers drei Dramen über die Ausweitung des Ichs und den Pakt mit dem Teufel. Christopher Marlowe war ein hochbegabter gesellschaftlicher Aufsteiger, bildhübsch und schwul. Seine zwei Stücke über Tamerlan und das über Faust fussen auf einer historischen Person, Timur der Eroberer, und Legenden über Faust, der seine Seele verkauft. Nimmt man beides zusammen, so erscheint in diesen Stücken ein Mensch immenser Despotie der für was auch immer mit Satan paktiert. War es ein heimliches Selbstportrait eines kometenhaft aufgestiegenen Mannes, der obendrein tief in die Händel der Politik verstrickt war? War es ein Portrait derer, die den Kurs Englands bestimmten? In einem Land der drohenden konfessionellen Kriege und des unheimlichen Aufstieges religiöser Fundamentalisten? Marlowe wurde mit 29 erstochen, niemand weiß ob die Tat eine politische Intrige war oder ein Mord infolge eines Streits in einer Kneipe.

Angst ging um. Längst war der sogenannte, wenn auch umstrittene, Hexenhammer veröffentlicht worden, eine Anleitung das Treiben der Dämonen durch Folter einzugrenzen. Die Hexenprozesse in Wittenberg 1540 etwa wurden, was Ed Simon nicht erwähnt, durch eine Hitzewelle ausgelöst, in der die Wälder wie Zunder verbrannten und die Kühe verendeten, weil vermutlich die Tümpel mit Grünalgen verseucht waren. Hatten etwa Zauberer die Hand im Spiel? Warum legte sich wenige Jahre später eine eisige Kälte über das Land? Im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts uferte die Angst vor Pakten mit dämonischen Mächten in gnadenlose Verhaftungswellen aus, in Hexenprozessen fielen Zehntausende erbarmungsloser Folter und Justiz zum Opfer, auch in Nordamerika gab es in Salem einen Hexenprozess. Alle Beteiligten glaubten an die Wahrhaftigkeit des Geschehens, wobei niemand heute sagen kann, was die sagenhaften Hexensabbate eigentlich gewesen sein wollen.

Auch das Bild des Bösen, des Teufels an sich, blieb zuerst vage. Erst bespricht Ed Simon Darstellungen, die an Folklore erinnern, um dann ein Bild vorzustellen, das angeblich von unheimlichen Phänomen begleitet wurde. Es jage schon bei sekundenlanger Betrachtung eisige Schauer über den Rücken. Ed Simon könne nur ein oder zwei Sekunden auf die Reproduktion des Gemäldes blicken, es sei weit mehr als nur verstörend. Was auch immer an der Geschichte der ominösen Herkunft des Bildes stimmen möge, tief im Inneren wünsche er nie im Besitz dieses Bildes zu sein: „Yet when I look at The Anguished Man, whatever artist painted it and whenever it was made, part of me feels that I’m seeing is evidence of a creator who went as far as he could to that other side and returned briefly to depict the horror he witnessed there.“ (Devil’s Contract, 7.Kapitel)

Mit und nach Goethe verändert sich der Blickwinkel zusehends, nicht nur dass Faust im zweiten Teil dem Menschen der Moderne gleicht, der mit Philemon und Baucis in seinem Drang die Welt zu verändern die letzten bescheidenen Menschen dahinrafft. Fortan zieht sich dieses Thema wie ein cantus firmus durch die Kunst, wobei Ed Simon einen Paradigmewechsel vornimmt. Was wäre, wollte man nicht die Werke, die von Faust handeln, beschreiben, sondern die Kunst von denen in den Blick nehmen, die sich wie Faust der anderen Seite verschrieben hatten? Waren nicht schon, ohne dass es Ed Simon genauer nahelegt, Marlowe und Goethe Künstler, die rücksichtslos ihre Karriere und ihren Einfluß vorantrieben und im Grunde sich selbst mit Faust porträtiert hatten?

Für Ed Simon, der aus den USA stammt, sind schon die Puritaner in ihrer Rigorosität einen Pakt mit dem Bösen eingegangen. Und, ist die Geschichte der Kultur der USA nicht auch die eines Paktes vieler Kunstschaffenden, wie ihn Faust, oder zynisch gesagt, Goethe eingegangen sind? Und, um weitere Aspekte einzufügen, ist das rauschhafte Erleben der Ekstase des Totalitarismus nicht auch ein formidabler Pakt mit Satan? Möchte man nicht da eine Analyse über Heidegger lesen, dem Meister der ontologischen Leere, der diese dummerweise mit dem Rausch des Nationalsozialismus füllen wollte? Ed Simon lässt aber das Musterbeispiel der Verführung liegen, die Erzählung Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde von Thomas Mann genügt ihm. Gleichzeitig folgt Ed Simon den Spuren Adornos, der dieselbe gleichgeschaltete Leere in seinem doch so angenehmen Exil in den USA wiederfand. Half nicht in Adornos Augen die Traummaschine von Hollywood die Träume der Menschen so uniform werden zu lassen wie einst Machtmaschine der Nazis die Deutschen? In den Augen Ed Simons benutzten Adorno und Horkheimer als positivistische Marxisten durchaus theologische Begriffe und mythische Sprache: „They speak of the ,soul‘ and of a mass of ,victims‘, falling prey to that which is ,offered them‘, an obvious Faustian turn, except that all who are enraptured by mass media (all of us) are those who risk damnation.“ (Devil’s Contract, 12.Kapitel)

Man mag sich bei erster Lektüre allein dieses Abschnittes selig in der Gesellschaft von Alexander Dugin wähnen, der den Westen unterstellt vom Antichristen beherrscht zu werden. Ob aber Dugins Remedur, ein autoritärer Staat mit Kernwaffen sowie straffer politischer Führernatur und einem Gott voller Abscheu gegenüber jeglichen Homosexuellen als Antipode zur Globalisierung wirklich hilfreich ist? Kann man den Teufel mit dem Beelzebub vertreiben? Ist nicht dieser waffenstarrende russische Führerstaat ebenso ein Produkt dieser Malaise?

Ist nicht auch die technische Zivilisation, die in wenigen Jahrzehnten alle habbaren Kohlenwasserstoffe verbraucht, wie Ed Simon postuliert, in gewisser Weise ein satanisches Projekt? Ist man bei Trost für den Luxus zweier oder dreier Generationen allen kommenden einen rückhaltlos ruinierten Planeten hinterlassen? Auch hier wird eine überraschende Volte geschlagen, denn im Kern streben Magie und Technik gleichermaßen nach Herrschaft. Im sechzehnten Jahrhundert blühen Magie und Okkultismus sowie die technisch wissenschaftliche Zivilisation gleichzeitig auf. Laut Ed Simon waren Kopernikus, Tycho Brahe, Kepler, Galileo, Wilhelm Gottfried Leibnitz und Isaac Newton alle wissenschaftliche Denker, die vom Okkulten fasziniert waren. Auch die Alchimisten, die Chemie betrieben um Gold und den Stein der Weisen zu finden, wären hinzuzufügen. In den ersten zwei Jahrhunderten der Neuzeit waren Wissenschaft und Magie wie zwei Seiten einer Medaille. Nur die Methoden der Erkenntnis änderten sich, nicht die Ziele.

Und nun, nach einem Schlenker zu Kapitalismus, Internet und zur ersten Atombombe, die passenderweise Trinity hieß, bleibt die Frage, wohin wird das faustoscene, wie Ed Simon das jetzige Zeitalter nennt, führen? Wie wird der Kontrakt, unsere Vernichtung, dann eingefordert? Denn dass der Kontrakt zu bezahlen sei, daran lässt für Ed Simon die Überlieferung, außer bei Goethe, keinen Zweifel. Das Erbe des Faustocene ist für Ed Simon der Tod und sein Kind die Apokalypse. Das Geschwür unserer Zeit könne in vier Bereiche unterteilt werden, einer sei der industrielle Kapitalismus, die nächsten seien Positivismus sowie Technikgläubgkeit und als letztes käme militärische Zwangsherrschaft. „As an interlocking system, the pillars of the Faustocene are riven through all aspects of our globalized world, where incalculable power and wealth has been generated by many, but where it very much appears to anyone paying attention that the Devil will be arriving soon to collect his due.“ (Devil’s Contract, 13.Kapitel)

Oder, mit den Worten von Mephistoles in Marlowes Faust, die Ed Simon seinem Buch voran gesetzt hat: “When all the world dissolves, And every creature shall be purified, All places shall be hell that are not heaven.”

Selten ist der Blick derer, die von einem anderen Winkel auf die Moderne blicken, besser beschrieben worden.

Von jeglicher oder gar der intensiveren Betrachtung vom The Anguished Man wird dringend abgeraten. Menschen in labilen Zuständen sollten dieses Bild keinesfalls sehen.
Zitate: Ed Simon, Devil’s Contract.