Ursprünglich, so schreibt John Jervis für Dezeen, waren der Mid-century modern und der International Style Mitte der Fünfziger Jahre Symbole kommender Glücklicheren Zeiten. Alles Vorherige sollte vergessen werden, die Menschen würden in eine pflegeleichte Zeit der Sauberkeit, der Demokratie und des reichlichen Wohlstandes kommen. Jedes überflüssige Ornament wäre entfernt, was bleiben würde wäre eine ideale, praktische sowie am reduzierten Design orientierte Einrichtung und Architektur. Schon ein Plattenspieler von Braun war, wie Derek Jarman in seinem Buch Modern Nature schrieb, in dem muffigen England der frühen Sechziger wie ein Vorbote einer neuen Zeit.
Das blieb lange ein Idealbild, gekauft wurde in Wahrheit weiterhin gerne Neobarock und üppiger Plüsch, später kamen die Stile der Alternativkultur hinzu. Man suchte emotionalere und freiere Nuancen als die, von der weißen und männlichen Elite forcierten, Stile der Klarheit und Reduktion es zu ließen. Für John Jervis ist zusätzlich Design als solches Signum einer höheren Klasse. Und die obsessive Wiederholung des Stils und das Mantra des „good design“ hätten den „backlash“ hervorgebracht, der dem Mid-century modern ein rasches Ende setzte. John Jervis übersieht dabei, dass der phänomenale Erfolg von IKEA darauf fusste, dass es eine abgeschwächte Version des Mid-century modern popularisierte.
Jetzt sind diese Stile der klassischen Moderne im gehobenen Segment zurück. In einer Zeit, da die Verheissungen fortschreitenden Wohlstandes sowie materieller und gesellschaftlicher Emanzipation schwinden, scheinen sich Designer, Architekten und Gestalter erneut an dem Ideal eines Stiles zu orientieren, der jetzt eine längst gesellschaftlich verblasste Utopie transportiert. Schon in den Fünfzigern war diese für die Klugen wie Hyman Rickover eine Illusion, die anderen hofften, dass der Fluß des Öls durch amerikanische Flugzeugträger gesichert bliebe, die Natur weiterhin zunehmenden Plastikmüll schlucken möge und die Wissenschaft für allgemeine Auswege sorgen würde. Es ist jetzt, als würden diese wohltemperierten Räume eine Hoffnung konservieren wollen, die längst im öffentlichen Raum zerbrochen ist. Vielleicht ist auch längst eine durchaus mit Absicht darwinistische Attitüde in das Design des öffentlichen Raumes eingezogen. Ausdruck dessen sind die immer dreister und zugleich aggressiver wirkenden Autos auf den Strassen und den Bürgersteigen. Deren Besitzer wollen jene schwingend leichte Eleganz wie die eines Jaguar E-Type oder dem Citroen DS 21 der Swinging Sixties nicht mehr haben und sich mit unförmigen Autos durch die Welt bewegen, als hätten sie das mit Kokain gestärkte Ego eines mit einer Goldkette am Hals behängten Drogenhändlers.
Was jetzt in diesen privaten Räumen gesucht wird ist eine Umgebung, die das verlorene Ideal konserviert oder erneut beschwört. Vielleicht, so schreibt John Jervis, offeriere Mid-century modern eine Klarheit und Ruhe sowie das Gefühl der Kontrolle, welche in unseren Leben immer schwerer zu finden sei. Lebendigkeit in diesen sterilen Schutzzonen des Wohnens, schreibt John Jervis, würden dabei nur etwaige Schmutzflecken und die Sammlung abgegriffener Taschenbücher schaffen. Man müsse wieder Zerbrechlichkeit, Verfall und das Unvollkommene in den Räumen zulassen. Die Perfektion des Mid-century modern sei schön, aber auf Dauer kaum auszuhalten.
Dezeen (John Jervis, 23.10.2024) Backlash bezeichnet im Angelsächsischen auch die politische Aktion der reaktionären Rechten. Bilder: Mit KI (Sogni) erstellt.