1969 nimmt Bernward Vesper in Schwabing mit einem Reisebegleiter, Burton, einen Trip, der fast vierundzwanzig Stunden dauern wird und später die Grundlage für Vespers Autobiographie, Die Reise, dienen wird. Fast vierundzwanzig Stunden irren Vesper und Burton durch München, durchqueren den Hofgarten und gehen in den Englischen Garten. Die Dinge scheinen sich zu verschieben, eine andere, scheinbar intensivere Wirklichkeit könnte sich auftun, die Welt könnte weit und schön werden, aber in Wahrheit werden Vesper und Burton feststellen, dass sie in der WG nur halbwillkommen sind, was auf Trip besonders unentspannt ist. Bernward Vesper wird danach seinen Text radikal neu ordnen wollen. Joachim Lehmann schrieb 1992 in DER ZEIT, Vesper habe sich in einer unmöglichen Situation empfunden. Um ihn das böse, kleinbürgerliche Deutschland voller Vegetables, wie Vesper seine Mitbürger nennt (auch Burton, vermutet Vesper, wird als amerikanischer Jude vom schicken Loft in Manhattan träumen) und der verlorene, weil unsinnige Kampf der RAF, an dem Vesper nicht teilnehmen wollte — so, laut Lehmann, ist der Ausflug in romantische Bilder ein Signum der seit dem Sturm und Drang schauerlich scheiternden deutschen Linken. Nimmt Bernward Vesper die Erlebnisse als Signum für eine tiefere, poetischere Existenz, die sich auftun könnte, obwohl er die Studentenbewegung als gescheitert ansieht? Oder ist der Trip Auslöser für eine radikale Nabelschau, die schlichtweg als Schlüsseltext für eine ganze radikale Generation gilt? Wenn ja, dann war es eine Reise, die zu einer gnadenlosen Selbsterkenntnis führte, ohne dass es irgendeines tröstenden Momentes gegeben hätte. Es wird ein Horrortrip, in dem Dantes Figuren der Hölle von real existierenden Figuren der BRD übernommen werden, die in gütefreier und humorloser Manier durch die Biografie wandeln. Warum wird eine triste Badewanne in einem Text Ausgang für eine illusionslose Sicht auf den eigenen Werdegang als solchen?
Warum war der Trip so ein Fiasko? Warum löste er nichts, sondern verurteilte? Dabei galt in der Antike doch die Straße nach Eleusis als heiliger Weg. Es war, nimmt man die 1978 verbreitete These in The Road to Eleusis von Albert Hofmann und A.P.Ruck und den The Immortality Key von Brian C. Muraresku als wahr, der Weg zu tief bewußtseinsverändernden Drogenzeremonien, die in Eleusis abgehalten wurden. Niemand weiß genau, was in Eleusis geschah, doch in diesem Licht schilderte Platon in seinem Höhlengleichnis wohl weniger philosophische Einsichten als die Erfahrung eines in Eleusis von Priesterinnen gebrauten und verabreichten Drogencocktails. Das versetzte ihn, Platon, soweit in andere Sphären des Glücks und des erweiterten Bewusstseins, dass er die Welt in einem anderem Lichte wahrnahm. Er empfand das jetzige Leben nur als Schatten an den Wänden einer Höhle. Diese Erfahrung muss voller Licht und Freiheit gewesen sein, wenn danach sein bisheriges, in unseren Augen wohl gutes Leben, doch so eng und grau erscheint. Dies alles geschah in einem rituellen und als heilig empfundenen Kontext, der nur nach intensiver Vorbereitung zugänglich war. Wahrscheinlich war hier Mutterkorn als Zusatz im Bier im Einsatz, was veritable psychedelische Erfahrungen ermöglicht, gleich dem mythischen Soma Indiens, dem Trank der Götter.
Wie viele andere seiner Zeit sah Platon seine Erfahrungen in Eleusis als unverzichtbar für eine tiefe Verbindung mit dieser Welt an. Ohne diese würden die Menschen die tiefe Einsicht in ihr Leben und auch den Kontakt nicht nur zur jenseitigen sondern vor allem auch zu dieser Welt verlieren. Die Frage nach derartiger Spiritualität hat die Forschung gerne umgangen, das antike Mysterium der psychedelischen Drogen wurde lange als illegitim oder nie praktiziert erklärt. Ob Drogen den Weg ins frühe Christentum gefunden haben, muss offen bleiben, Ruck übersetzt koimontai in 1. Korinther 11,30 mit Sterben, was aber auch tief Schlafen bedeuten kann. Hätte es Tote beim Abendmahl gegeben, könnte man auf Drogen schließen, die dem Wein beigemengt wurden, aber diese Tradition scheint sich mit der Gnosis zu verlieren. Mit den christlichen Kaisern fand auch der Kult von Eleusis 392 sein Ende, die Erleuchtung war fortan offiziell nur durch Askese, Gebet und göttliche Gnade möglich, auch wenn Psilocybin jahrhundertelang möglicherweise im christlichen Kontext gebraucht wurde.
Wie Platon hielt auch Paulus seine mystische Erfahrung für so prägend, dass Paulus davon schrieb, der Verstand des Menschen sei seitdem für ihn wie der Tod schlichtweg entwertet worden (katargein, was nicht direkt zu übersetzen ist). Paulus war zuvor auf der Jagd nach nicht linientreuen Frommen vom Esel gestürzt und war Christus in sich (en emoi, Galater 1,16) begegnet, wobei diese Formulierung sich auf die philosophische und mystische Tradition des „ersten“ Menschen, dem adam qadmon, bezieht, der nur in der unio mystica erfahrbar ist und als spirituelle Tradition eine Synthese aus Judentum, Neuplatonismus und vielleicht auch des Hinduismus darstellt.
Die Reise, das posthum herausgebrachte Werk von Bernward Vesper, kennt keine religiösen oder spirituellen Topoi. Bei Vesper mäandert der Text immer weiter von der Badewanne zu seinem trostlosen Vater, der als Autor authentisches nationalsozialistisches Gutsherrenleben durchexerzieren wollte. Dann blitzt die Haltlosigkeit Vespers Beziehung zu Gudrun Ensslin auf, es kommt zu dem hilflosen Suchen nach Momenten, die mehr in sich trügen als den Augenblick. Zuletzt gesteht Vesper seine Patzigkeit ein, die in absolute Tristesse mündet als sein Trip in der Badewanne einer WG ausklingt, in der sie nur geduldet sind. Es ist ja nicht nur die WG, die ihn nicht will, sondern irgendwie auch die BRD trotz Vespers beachtlicher Karriere als zeitweiliger Redeschreiber für Willy Brandt und Karl Schiller. Das ganze unappetitliche Ensemble von Gemüse, wie Vesper die BRD nennt. Vielleicht ist es auch die ästhetische Wüste, die die BRD damals weithin war und das Josef Heinrich Darchinger in Wirtschaftswunder als so abgrundtief verbiestert mit der Kamera porträtiert hatte (wobei München zusammen mit San Franzisko und London in den 60igern zu den swinging cities gehörte). In Vespers Aufzeichnungen klingt nicht nur politisches und persönliches Scheitern an, es ist auch eines jener Bücher, die diejenigen warnen sollten, die glauben in engen Hinterhofwohnungen und trostlosen persönlichen Verhältnissen sich durch Drogen spirituelle Erleichterung verschaffen zu können. Hochprozentigen Spirituosen, die seit dem Spätmittelalter in Europa psychedelische Drogen verdrängten, sind anders. Alkohol dämpft die Empfindungen, man kann sich Geschlechtspartner*innen, Wohnungen, Lebensbilanzen und Verhältnisse schön trinken. Mit psychedelischen Drogen, vor allem mit LSD, geht das nicht. Niemand, der einigermaßen bei Troste ist, wird sich Orte wie Bernward Vesper suchen um seinen Trip ausklingen zu lassen. Das ist einer der Gründe, weswegen Mysterien früher für die Gläubigen reserviert waren oder der Konsum rituell eingebunden war, sei es durch Zeremonien oder durch spirituelle Überlieferung. „This wise and prudent manner of use, based on millennia of experience, was regrettably not heeded when many members of our society began to use psychedelics.“ schrieb Albert Hofman im Nachwort zu The Road to Eleusis. Es ist nicht, wie Joachim Lehmann schrieb, ein fataler Hang zu Schönheit, der schon im Sturm und Drang die Jungen scheitern ließ, sondern die Notwendigkeit von Mysterium, Sinnlichkeit, Freiheit, Wärme und Sinn, die schlichtweg im Alltag und der Biographie fehlen und nun, mit den unendlich geschärften Sinnen, als eine conditio sine qua non erscheinen. Oder, um es mit Platon zu sagen, die Schatten an der Wand waren zu schauerlich als dass man das Licht habe sehen können.
Bernward Vesper nahm sich 1971 das Leben.
Mehr zu Paulus: Aufstand und Apokalypse, 7. Kapitel