Wie Linke zu Rechten werden.
Warum wandern Stars der Avantgarde wie Céline und Handke in das rechte Lager? Am Anfang des Romans Reise ans Ende der Nacht von Louis-Ferdinand Céline werden Tage unter einem lethargisch in schwüler Hitze dahinsämmernden Kolonialregime geschildert, das in bürokratischer Unfähigkeit versinkt. Klimaanlagen, die Europäern die Wohlfühlzone enorm ausweiten, sind noch nicht vorhanden, so bleibt die feuchte, stickige und klebrige Hitze und das Scheitern der Hoffnung, in den Tropen zu reüssieren. Nach einer surrealen Fahrt auf einer Galeere gerät der Romanheld in eine weitere Hölle. Es ist die triste Lebensrealität einer Pariser Vorstadt und ihrer, damals noch rein französischstämmigen, Bewohner, die sich in kleinbürgerlicher Habgier und prekärer Armut an jede Centime klammern. Unglaubliche Enge und Bösartigkeit verweben zu sich zu einem Teppich des Grauens, dem der Armenarzt des Romans hilflos in seiner Gutgläubigkeit und Weichheit ausgeliefert ist. Nun hatte Louis-Ferdinand Céline mit Frankreich abgerechnet indem er seine Ränder beschrieb, die Kolonien und die Armen in den Vorstädten.
Das Buch war eine Sensation, eine Abrechnung sondergleichen.
Markiert es den Wendepunkt in seinem Leben, der zu Erfolg und durch Wohlstand gemilderter Altersweisheit hätte führen können? Louis-Ferdinand Céline wurde 1932, als das Buch geschrieben hatte, ein literarischer Star der Avantgarde, die Rechten und die Linken hofierten ihn.
Céline stammte aus bitteren, bedrängten Verhältnissen, die weniger Wärme als Schläge bedeuteten. Céline schrieb wenig später einen halbbiografischen Roman, Tod auf Kredit, über das Grauen seiner Kindheit, die von dem hoffnungslosem Sparzwang der untersten Mittelschicht geprägt war, die jede Centime umdrehen musste. Zudem war die berufliche Situation des Vaters prekär, da er als Schönschreiber durch die damals hochmodernen Schreibmaschinen ersetzt zu werden drohte. Céline wurde nichts weiter als schlecht bezahlter Armenarzt. Die Verhältnisse wurden in der Wirtschaftkrise der Dreissiger nicht besser, allerdings die gesellschaftlichen Erschütterungen immer größer. Jüdische Flüchtlinge, die aus Polen und Deutschland fliehen mussten, waren unerwünscht und Gegenstand internationaler Konferenzen in denen Länder vergebens versuchten, einander die Juden zuzuweisen. Die hoffnungslos veramten Juden aus Polen und deren Gegensatz, die internationale, jüdische Finanzelite, waren Antipoden gesellschaftlichen Argwohns, die heute in der Gestalt der Asylanten und der Wall Street wiederkehren. In dieser Zeit, ab 1937, begann Céline Pamphlete gegen die Juden zu verfassen und sich den Konservativen anzudienen. Zehn Jahre nach dem Erscheinen des Buches wurde Céline von einem Literaten und Offizier der Wehrmacht, die Paris besetzt hatte, besucht, um ihm, dem berühmeten Autor und Armenarzt, seine Aufwartung zu machen. Ernst Jünger, der im 1.Weltkrieg hochdekoriert worden war und wohl den den Faschisten aber eher weniger den Nazis nahe stand, war nach den Treffen so entsetzt, dass er erst kurz vor seinem Tode den Inhalt des Gespräches mit Céline offenbart hatte: Man solle, so habe Céline gesagt, einfach alle Juden umbringen.
Warum Céline allmählich in die äußerste politische Rechte gerückt war lässt sich schwer eruieren, war es die Verbitterung über seine Armut und die wenig einträgliche Tätigkeit als Armenarzt? War es die Verbitterung darüber, dass die Kleinbürger und Proletarier ringsum genauso interessengeleitet und egostisch agierten, wie die Reicheren ringsum? Waren es Erbärmlichkeit und Gier der Kleinbürger, die Céline anwiderte? Oder war es ein Stachel, der seit seiner tristen Jugend in ihm sass und fortwährend nach Hass rief? Hatte das, worüber er geschrieben hatte, die Welt des white trashs in Frankreich, ihn überwältigt? Ist das Grobe, was sein Schreiben von jeher auszeichnete, Erklärung für den Wandel? Vielleicht war er auch nur zu schwach gewesen, oder war er auch schon in seiner Jugend, das was er später geworden war, ein böser, auf sich zentrierter Mann ohne Anstand? Vielleicht bedeutete sein Antisemitismus nur den Wechsel des Gefäßes, in dem er seinen Hass ausstellen konnte.
1971 flog Peter Handke zu dem Begräbnis seiner Mutter nach Kärnten. Die Mutter hatte Selbstmord begangen. Wunschloses Unglück berichtet über ihr Leben und die Aussichtslosigkeit in der Enge des Dorfes und aufgezwungener Sparsamkeit zu einem eigenen Leben zu kommen. Es gibt nur wenige Bücher im deutschen Sprachraum, die so rückhaltlos die im 19.Jahrhundert genährte Sehnsucht nach dem schönen, heilen Landleben als bittere Farce und absoluten Kitsch entlarven. So schön Kärnten auf den Urlaubspostkarten nach dem Kriege aussehen mochte, das Leben der Mutter war eine einzige Qual in der Enge des Dorfes gewesen. Jahre später lebte Handke längst in Paris und Salzburg und war ein international höchst angesehner Künstler, als er im Kosovokrieg sich demostrativ auf die Seite der Serben und Slobodan Miloševićs stellte. Es gab einen Aufschrei, Handke wurde öffentlich der Parteinahme für einen rechtspopulistischen Diktator mit Progromerfahrung bezichtigt, sein Werk wurde diskret sauber zwischen (nicht aktzeptabler) Politik und Poesie geschieden. Warum hat Handke sich erboten, jene Verhältnisse, die seiner Mutter mit das Leben gekostet hatten, zu rechtfertigen? War es etwa die heimliche Sehnsucht nach der Heimat, die Kärnten vor der Mechanisierung der Landwirtschaft gewesen war? Nach den Wiesen mit den Heumanderln, den Darren auf den Feldern und Streuobstbäumen? Nach Glühwürmchen, dem Geruch des Sommers und Feldrainen voller Blumen?
„Doch Célines Antisemitismus lässt uns vor Ekel revoltieren, und wer wollte das beklagen?“ schrieb die Zeit am 30. Dezember 2009. Céline starb 1961 in Meudon, angeblich inszenierte er sich dort als einsamer, böser Kauz.