In der Apsis steht verloren die Statue eines Mannes, der winkend und sehr energisch auf Ankommenden zuzugehen scheint. Die Statue wirkt klein, fast verloren, steht aber mittig und zieht in dem kahlen Kirchenschiff alle Blicke auf sich. Sonst ist die Kirche weiß, man sieht ein Potpourri aus romanischen Bögen und barocken Fenstern. Aller Schmuck ist fort, der Boden ist aus hellem Kalkstein. Die Chorfester lassen durch Onyxmarmorfenster diffuses Licht herein. In den sonst absolut kahlen Seitenschiffen gibt es noch weitere barocke Plastiken und eine Kapelle mit einem Kruzifix. Alles andere ist fort, die wenigen kultischen Gegenstände sind klar und ebenfalls hellem Kalkstein.
Westwärts
Sie starrte kurz auf die Täfelung aus Eiche. Die helle Decke war mit feinen Rippen verziert und hatte überall Lampen. Zwischen den langen Tischen waren Reihen von Säulen. Dann nahm sie Karte zur Hand. APRIL 12. 1912, sie überflog die Zeilen, LUNCHEON, FROM THE GRILL. GRILLED MUTTON CHOPS, MASHED SOTAY & BAKED JACKET POTATOES, dann legte sie die Karte beiseite.
»Ich habe keinen Hunger«, sagte sie.
Louis sah auf.
»Du weißt doch, ich habe schlecht geträumt«, sagte sie.
»Du darfst dich nicht in Manie hineinsteigern«, sagte er und legte seine Hand begütigend auf ihre.
»Ist ihnen nicht gut?«
Die Frage stand plötzlich im Raum.
Die Tischnachbarin, eine freundliche Dame aus New York lächelte.
»Ein Albtraum, mehr nicht. Ich habe geträumt, unser Schiff ginge unter.«
»Das Meer hat immer eine unheimliche Seite«, sagte der Mann der Dame, »man ist immer ausgeliefert dem Unfassbaren. Aber jetzt, da wir auf einem dieser starken Dreischraubenschiffe sind, sollten sie keine Angst haben. Der Mensch ist dabei, die Naturgewalten endgültig zu bezwingen! Oder glauben sie, dass es Seen gibt, die bis an die Brückennock reichen?«
»Ja«, pflichtete der Gentleman aus Schottland bei, »wir fahren mit mehr als 20 Knoten pro Stunde. Das was früher auf der Mayflower Monate waren, sind jetzt Tage.«
»Und«, sagte seine Frau, »die Erste Klasse hat sogar einen Swimming Pool und wir können per Funktelegrafen Telegramme schicken!«
Der Mann aus New York pflichtete bei.
»Unser Schiff? Die Ingenieure haben es so meisterhaft entworfen, dass es mit voller Fahrt ein anderes rammen könnte, ohne die Schwimmfähigkeit zu verlieren. Selbst ein Dreadnought, der im Nebel von der Seite käme, könnte dieses Schiff nicht ernsthaft gefährden. Und wissen sie, wie die Maschinenräume aussehen?«
»Nein«, sagte Louis.
»Es sind Hallen wie das Innere eines Hüttenwerks.«
Die Kellner brachten die Vorspeise: Consomme Payanne und Pea Soup. Jetzt, da die See ruhig war, waren viele Plätze besetzt, obwohl die Passage nicht ausgebucht war. Vielleicht hatten viele Scheu, eine Überfahrt im April zu buchen, wenn es an Deck im Nordatlantik noch kalt sein mochte.
»Mein Bruder aber«, sagte der Gentleman aus Schottland, »der früher auf Segelschiffen gefahren ist, findet diese großen Ozeanriesen jetzt unheimlich. Die ganze Poesie des Meeres sei verschwunden, sagt er.«
»Ehrlich«, fragte Louis.
»Ja, das sagt er.«
»Das ist der Preis des Fortschritts,« warf die Dame aus New York in die Runde ein, »oder wollen wir noch in Höhlen leben und im Winter an Rauchvergiftung sterben?«
Die betrunkene Dame
Ich arbeite, sagte die ehemalige Redakteurin, als Schlossführerin in einem Haus mit mehr als 200 Zimmern. Ein Haus, das, als es 1769 fertiggestellt wurde, kein Bad und keine Toilette hatte. Manche Räume haben Wandbespannung aus Seide und Gold, abends sehen sie aus als seien sie frisch aus einem Märchen, auch wenn man weiß, dass jeder Spiegel, der damals mit einem Amalgam aus Quecksilber und Zinn bedampft wurde, die Arbeiter selten älter als vierzig Jahre werden ließ. Es ist, als hinge dort die Leichenhaut späterer Lampenschirme.
WeiterlesenDas Geflecht des Handels
Es gibt Orte, die das jetzige wirre Gefleht der Waren und Menschenströme verdichten und Bilder fassen. Wie Adern verlaufen Strassen und Schienen durch eine Umgebung, die so aussieht als habe man Verpackungsmaterial aufgeschichtet.
Am ehemaligen Strand Genuas (Bild 1) standen früher die Sommerpaläste der Reichen. Dort stellte 1607 Peter Paul Rubens Kontakte zu potentiellen Aufkäufern seiner Kunst her. Bild 7, © Stefan Hofmann
Claqueurinnen der Ohnmacht
Es beginnt mit dem Anflug auf Dschiddha. Ein letzter Drink im Flugzeug. Frances hofft, von ihrem Mann abgeholt zu werden. Wenn nicht, sagt sie, nähme sie ein Taxi. Das ginge nicht, sagt der Steward, der die Gläser abräumt, einer Frau sei es verboten in ein Auto zu einem fremden Mann zu steigen. Aber, wirft Frances ein, das sei der Job des Taxifahrers, Leute zu befördern, oder? Und schon verliert Frances allen rechtlichen Status:
„You’re a woman, aren’t you? You’re not a person anymore.“
WeiterlesenDer verfrühte Text
Kids wollen Indianer sein, keine Cowboys. Ich erinnere mich noch an den Siedlungsblock am Ende der Straße, wo wir Schulkinder spielten. Und weil es doch gleich viele Indianer wie Cowboys geben musste und alle alle Indianer sein wollten, gab es Streit. Gewürfelt wurde nie, die Cowboys waren immer die Dummen, körperlich Unfitten und Uncoolen. Also ich.
Lag das an Karl May, den ich wegen dieser Spiele nie gelesen habe?
WeiterlesenDer Albtraum
Es war wieder der Alte, der mich diesmal wieder gefunden hatte.
Dieser böse alte Mann, der mit sich eine Hündin führte. Ich sah ihn kommen, gleich würde er sich neben mich setzen und mit der Verbissenheit eines verbitterten Menschen mir seine Verschwörungstheorien verkaufen. Ich kam aber nicht weg, es war mir als müsste ich auf dieser Bank kleben und konnte nicht aufstehen. Es war zu spät, die zudringliche Besserwissererei des Alten kam immer näher, ich war wie gelähmt. Ich blieb sitzen, ich war allein, schon die Nähe des Alten würde mich von meiner Umgebung entfernen. Knotige Hände fuchtelten in der Luft, es war kalt und wahrscheinlich näherte sich eine feuchte Hundeschnauze mir hinter meinem Rücken und ich würde wieder dieser feuchten Attacke ausgesetzt sein.
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Empathie an das Verlieren
Es war eine der Ausstellungen, die auf den ersten Blick verloren wirkte. Die Werke hingen in einem temporär unbenutzten ehemaligen Verkaufsraum in Zehdenick, einer langsam sich entvölkernden Kleinstadt 60 Kilometer nördlich von Berlin. Der Verkaufsraum hatte sichtbar bessere Tage hinter sich, einige der häßlichen Platten, mit denen die Decke verschalt war, fehlten und gaben den Blick auf das Innenleben der Decke frei. An der blassgelb und pink gestrichenen Wand hingen Gemälde. Man sah immer wieder Ansichten eines Tisches mit überquellendem Aschenbecher, einer brennenden Kerze auf einem Stalagmit aus Wachs, Bierflaschen und Büchsen. An der Wand des gemalten Raumes hingen Bilder, sorgfältig arrangiert, auf Regalen lagen CDs, einmal standen am Boden abgetragene Turnschuhe und immer wieder erschien ein alter, vorsintflutlicher Fernseher.
WeiterlesenÜberwältigung durch Polyphonie
Als die Söldner und Fürsten aus dem hohen Norden, die sich in Süditalien festgesetzt hatten, reinen Tisch machten und auf Geheiß des Papstes im 11. Jahrhundert Sizilien eroberten, fanden sie eine eine Mischkultur aus orthodoxen Griechen, katholischen Langobarden, einheimischen Sizilianern, Juden und muslimischen Arabern vor.
Der Alte
Das Bild wollte nicht aus dem Kopf. War es der alte, arm wirkende Mann mit der struppigen, dünnen schwarzen Hündin, der sich neben mich an den Tisch gesetzt hatte? Ja, ich hätte mir das Gespräch verbitten können, aber irgendwie war es nicht dazu gekommen, vielleicht weil ich im Herzen nachgiebig bin und manchmal wie ein Opfer wirke. Hätte ich mich ich überhaupt dem aussetzen dürfen, schalt ich mich?
Es war ein alter Mann, dessen schlecht rasierte Bartstoppeln Gleichgültigkeit, einen blinden Badezimmerspiegel oder abgeschabte Rasierklingen verrieten, vielleicht spielte auch alles zusammen. Die Hände des Alten waren ungepflegt, die Fingernägel hatten leicht schwarze Ränder. Vielleicht war die Hündin die einzige, die diesen altem Mann noch freiwillig Wärme gab, auch wenn sie, nachdem sie an dem Alten hochgesprungen war, immer wieder mit ihrer Schnauze an den Rucksack stiess, in dem offenbar die Hundekekse untergebracht waren.
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