El Anatsui. Triumphant Scale, Haus der Kunst. Objekte des Alltäglichen verdichten sich bei El Anatsui zu massiven Formen, die in ihrer Fluidität der Natur gleichen.
Der Fremde
Es war vor mehr als zwanzig Jahren im Volksbad, jenem ockergelben Jugendstilbad in München, ein normaler Samstagnachmittag, die Schwimmhalle war voll, die Umkleide auch, es waren viele Männer da. Einige versuchten miteinander verstohlen zu flirten, andere suchten nur Wasser und Schwimmen oder waren desinteressiert an den Blicken. Sah man von der Balustrade der Umkleide auf das Becken herunter, so sah man das Blau des Beckens, die prunkvollen Fliesen und die Schwimmer. Einige Besucher saßen auch am Beckenrand, wahrscheinlich genossen sie die Atmosphäre, die Schwimmer und den schönen Raum mit dem hohem Gewölbe.
WeiterlesenStreet Art in Marseille
Sinnsuche der Funktionselite
Der junge Mann aus Nordafrika war ein ausgebildeter Rhetoriker,
der als raetor für den Kaiser arbeitete, also, wie wir heute sagen würden, als Pressesprecher des Präsidenten fungierte. Klug war er ohnehin, sexy auch (in seiner Autobiografie erwähnt er den Stolz des Vaters, einen so wohlgebauten Sohn zu haben, als sein Vater ihn als Teenager in der Badewanne gesehen hatte) und eine Heirat in eine der führenden Adelsfamilien war anvisiert. Die langjährige Geliebte, mit der er einen Sohn hatte, sollte verstoßen werden, das Projekt, das ihn, den Berbersohn aus Nordafrika, in die führenden Kreise des Imperiums bringen sollte, erforderte wohl gewisse Zielkorrekturen im Bereich des privaten Lebens. Wir müssen uns einen brillanten, bildschönen und äußerst ehrgeizigen Yuppie vorstellen, klar wie Eis, der sich wie ein Fisch im Wasser innerhalb der Funktionselite am Hofe und in Mailand bewegt. Trotzdem litt der junge Mann an Zweifeln, nicht an sich, da gab es nichts zu Zweifeln, sondern an dem Glück, das er suchte. Als er einen betrunkenen Bettler sah (Conf. VI 6), stürzte ihn das in eine Krise, nicht weil er von Mitleid überrannt wurde (Mitleid tut Funktionseliten als Funktionseliten nicht gut), sondern weil er seine Ziele überprüfen musste. Was, fragte Augustinus sich, sind sein Glück, sein Streben wert, wenn dieser Bettler dasselbe mit Hilfe einer Flasche Wein erreicht? Warum müht er, Augustinus, sich, so volatile Dinge, wie Ruhm und Geld, zu erwerben? Sind die nicht längst vergänglich? Da ist er dreißig Jahre alt, umgeben von Freunden, die ihn bewundern, und längst fest im Leben. Er hat ja alles, glänzende Karriere, die materiellen und familiären Güter, die noch ausstehen mögen, sind in Reichweite – dann wechselt der Kurs seines Lebens um 180°.
WeiterlesenTreppen der Träume
Unter den Preisträgern für den Mies van der Rohe Preis 2018 befindet sich auch das Terrassenhaus Berlin, ein schmuckloser Bau von Brandlhuber+, der sich jeder Ästhetik zu verweigern scheint und wie eine unfertige Fabrik in dem trostlosen Ringsum des Wedding gelandet zu sein scheint. Von den Terrassen vor den Ateliers aus fällt der Blick auf die Geleise der Ringbahn, als ob dahinter eine ungeheure Weite sei (ähnlich der Alten Utting in München).
So faszinierend das Gebäude auch sein mag, ist es auch ein Vorbote der Gentrifizierung.
Weisse Elefanten der Moderne
In den Zwanziger Jahren gab es erste Projekte, die Autostrassen als Teil eines funktionalen Fortschrittes begreifen wollten und Büro- und Wohnhäuser so konzipierten, dass sie Strassen als Querriegel überspannten. Das Büro des Rektors im Bauhaus zu Dessau sollte auf eine befahrene Strasse herabblicken, ebenso ein Querriegel in der Weißen Stadt in Berlin, die am Ende der 1920er Jahre für soziale Zwecke nach dem Städtebauentwurf von Otto Rudolf Salvisberg erbaut wurde. Das Auto, das bis dahin nur ein Verkehrsmittel der Wohlhabenden war, sollte nun Vision des neuen, beweglichen Menschen sein. Die Charta von Athen postulierte 1933 eine Trennung verschiedener städtebaulicher Zonen, nachdem Le Corbusier das mit dem utopischen Plan Voisin, für den ein Teil der Pariser Altstadt abgerissen werden sollte, vorweggenommen hatte. In der Radikalität, mit der das Alte negiert werden sollte, liegen Parallelen zu den gesellschaftlichen Umwälzungen, die totalitäre Regime durchführten.
WeiterlesenStadt der Träume
Es gibt in dieser untergehenden Stadt, in deren oberen Geschossen die Fenster nachts zumeist dunkel sind und in der sich tagsüber Touristenmassen durch Gassen voller Restaurants und Cafés samt Ramschläden von Pakistanis mit Krimskrams und Kitsch für Touristen quälen, seit mehr als einem Jahrhundert die Biennale, verteilt in einem Park und einer ehemaligen Werft für Galeeren.
WeiterlesenWege für Füße
Neben den Insekten, Amphibien und Reptilien sterben in dem Europa der Hochleistungslandwirtschaft auch die krummen Wege, die Jahrhunderte oder Jahrtausende Menschen zu den Feldern geführt haben und die jetzt, im Zeitalter der maschinell bewirtschafteten Latifundien, obsolet oder zu geteerten Pisten werden. Mit ihnen stirbt auch die Idee des Mäanderns, des Umherschweifens in der bäuerlichen Kulturlandschaft, um einer neuen, seelisch reduzierten Person Platz zu machen. Verschwunden sind nicht nur Schmetterlinge und Lurche, sondern auch die krummen Rücken, die schwieligen Hände und die Kopftücher der Landfrauen, das Milieu von Entsagung, Arbeit und konservativen Wahlverhalten, das Europa der Glühwürmchen, wie es Pasolini genannt hatte.
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NachbarschaftsTV
Lesung vom 24.2.2018 in der Galerie Zwitschermaschine
– Goyas Bild, sagte Theodor, müsse man nicht als Kunst betrachten, sondern als eine Vision des missglückten Lebens. Man müsse sich vorstellen, in die eigenen, zappelnden, vor Schmerz schreienden Kinder zu beissen und ihnen sukzessive alles Fleisch aus dem Hals herauszureissen bis sie zu atmen aufhören und dann mit blutigem Mund ihren Schädel aufzubrechen und den Kopf zu verschlingen. Ja, es gelte wirklich in das weiche, wehrlose und saftige Fleisch eines Säuglings die Zähne zu versenken, ja, täte man es, man wäre das Monster, das Goya gemalt habe, ein alter, hässlicher, knochiger Greis mit vor Schreck aufgerissenen Augen, der seinen Sohn verspeist. Mehr noch, ein abstoßender Dämon ist auf dem Bild, ausgezehrt und böse, dessen knochige Pranken den Rest seines winzigen, toten Kindes halten, indessen ihm das Blut aus dem Munde tropft. Sieh es, sagte Theodor, sieh es immer und immer wieder an und dann stelle Dir vor, Du bist es, der auf immer dazu verdammt ist, seine Kinder, seine Hoffnung zu essen, weil Saturn die Herrschaft übernommen hat und alles unter das erbitterte Regiment bleierner Zeit stellt. Meditiere dieses Bild nicht als Kunstwerk, sondern als Symbol Deiner Situation, alles was du dir erhoffst wird von dem Monster, das nachts auf deinem Bettende sitzt, verschlungen. Sag Dir einfach, es gibt keine Hoffnung, es wird keine Änderung mehr geben, nicht mehr und niemals, geschweige denn zum Guten, reiß alle Gedanken daran aus deinem Herzen und zerstöre sie, wie Saturn, der seinen Sohn verschlingt. Endstation, Du bist gefangen, verstehst Du, Du musst Deine Hoffnung verzehren wie Saturn seinen Sohn. Saturn, das ist keine Handelskette, sondern ein Zustand, der unter der der Ägide eines furchtbaren Gottes steht…
WeiterlesenKalte Glätte
Nirgendwo tritt die merkwürdige Kälte des Modernen so zutage, wie in dem deutschen Weltausstellungspavillon 1929 in Barcelona. Es ist, als habe man einen unberührbaren Kristall erschaffen wollen, dessen reine Oberfläche die Gegenwart des Todes und der reinen Anschauung vereint. Dass diese architektonische Reduktion den Blick eines Mannes vollzieht, zeigt die im Hof eingeschlossene Statue einer nackten Frau. Den Fetisch des unberührbar Männlichen und Vollendeten hat sich ein späteres deutsches Regime zueigen gemacht ohne diesen Stil zu verwenden, der im Angelsächsischen International Style genannt wird.