Herr Demand, der Sympathisant

Fiction / Geschichte

Wird man zur Einschüchterung offen überwacht,

wie es Herr Demand sagt, der in seiner Jugend als Sympathisant galt? Ich bin höflich zu ihm und lasse ihn reden. Jede seiner Liebschaften sei wochenlang vom westdeutschen Geheimdienst beschattet worden, das habe ihn fast zu militanter Aktion bringen können, aber für den Untergrund habe er sich nie wirklich entschließen können, man war Boheme und wie viele der radikalen Linken der Siebziger aus der Mitte der Mitte der Gesellschaft gekommen. Man wäre doch eine gewisse Lebensperspektive gewöhnt gewesen, Bader war ein gut aussehender Macho mit Lederjacke und Mercedes, Callboy sagen einige, Frau Meinhof eine sehr kluge und attraktive Journalistin und Holger Meins begabter und, last not least, schöner Mann, ein Filmemacher, dessen frühere Freunde steile Karriere gemacht haben.

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Die Festung starren Glaubens

Architektur / Fotografie / Geschichte / Theologie

In wenigen Bauten verwirklicht sich die Mischung aus Glaube, Ideologie und Macht sosehr in einem Kristall wie dem El Escorial nahe Madrid, das von Philipp II. von Spanien am Rande der Berge in der Nähe von Madrid als Kloster und Palast konzipiert worden ist. In ihm scheint der militante Katholizismus der Gegenreformation zu einem steinernen, abweisenden Manifest absoluten Willens zur eigenen Unterordnung verdichtet zu sein, dessen grauer Granit fast schmucklos ist, aber eine ungeheure serielle und disziplinierende Wucht ausstrahlt. Das einzige, was nicht Glaube und Macht der Herrscherhauses ausdrückt, sind Stiche von Dürer mit Tieren und Pflanzen in dem intimen Arbeitszimmer von Philipp II.

Geistigkeit und Vernunft

Denken / Geschichte / Theologie

Fast nur deutschsprachige Autoren und Philosophen haben sich an einer Gesamtschau der Geschichte versucht,

Karl Marx etwa, dessen Thesen erneut bei etlichen Linken eine zweite Renaissance erleben, je mehr der Spätkapitalismus sich in seine dysfunktionale Agonie steigert und absurder das Verhältnis zwischen den Gütern der Wenigen und der Mittellosigkeit der Vielen wird. Auch die Rechten könnten in ihrer Lektüre bei einer Gesamtschau der Geschichte fündig werden, nur hier wäre es Oswald Spengler, der Kulturen in ihrer Entwicklung verglichen hat und nun dem Westen analog Rom einen allmählichen Übergang von der Demokratie in das Imperium verheisst, mit den Begleiterscheinungen des Populismus, des Verfalls der Frömmigkeit zugunsten von Esoterik und Fundamentalismus sowie der immer weiter auseinander klaffenden sozialen Schere, auch der Limes, was Spengler ja so noch nicht gesehen hatte, wird in anderer Form in Ungarn und Serbien zum „Schutze“ der EU mit Stacheldraht neu errichtet.

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Manchmal ist jener Schwert und dieser Scheide, manchmal umgekehrt

Literatur / Theologie

Dieser Satz, der auf schwulen Sex verweist, ist Zitat aus der Abhandlung über die Liebe im theologischen Hauptwerk von Ahmad al Ghazzali, einem der wichtigsten islamischen Theologen und Mystiker.

Ahmad al Ghazzali lebte im Mittelalter kurz nach der Jahrtausendwende in Bagdad, der damaligen intellektuellen und wirtschaftlichen Metropole. Er gilt als derjenige, der die Liebeslyrik und Mystik der Sufis mit der Orthodoxie des Islams vereinen konnte, in seinen Gedanken über die Liebe legt er nochmals die Grundzüge einer Schule muslimischer und auch antiker Theologie dar.

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Es war Samstag

Berlin / Denken / Theologie

“Was hältst Du von dem IS?”

Es war Anfang Dezember und Samstag Nacht, die U-Bahn fuhr nach Neukölln, um mich herum saß eine Gruppe junge Männer. Sie redeten miteinander und scherzten. Sie hatten dunklere Haut und Drei-Tage Bärte und die Figur von Leuten, die regelmäßig Sport machen oder mehrmals wöchentlich ins Fitnesstudio gehen. Vermutlich waren sie türkisch oder arabisch stämmig, sie redeten auf Deutsch, ich hörte nicht hin, da ich noch meinen Gedanken nachhängen wollte. Sie waren offenbar Freunde und neckten sich. Der Zug war nur halbvoll, es war noch vor Mitternacht, die jugendlichen Partygäste, die wie von Modemagazinen gecastet wirken, noch nicht da.
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Endherzflimmern

Fiction

Eine Kurzgeschichte

Warum erzählst du Maria immer wieder von dem Moment, als du Holger das erste Mal verführt hast, er auf dem Dach im Morgengrauen den letzten Wein getrunken hatte. Du hattest Angst er könnte fallen, hinabstürzen in den Hof, als er torkelte, der schlanke, dürre Mann, der seine Hände ausbreitete, als wolle er die gesamte Stadt von sich überzeugen. Ja, irgendwann würden die Stadt in einer Raumfalte verschwinden sagte er, irgendwann würde das alles aufgesogen in einem Meer aus Gier und Betulichkeit. Er lachte dabei, zitierte Marx und Ulrike Meinhof, rauchte eine Zigarette nach der anderen, redete und deutete auf das Meer aus Dächern und Kaminen mit den Hochhäusern im Hintergrund. Frei, sagte er, frei müsse man sein, frei sei nur der, dem es egal sei, ob er verlöre, oder gewönne, wichtig sei nur das Leben. Warum wiederholst du es, Maria, warum wiederholst du es immer wieder, es war doch nach dem ersten Abend mit uns allen auf dem Dach, ich war doch dabei, ich sah ihn doch auch wie er auf dich zulief, den sehnigen, schlanken Mann mit dem blonden, wie bei Bowie gegelten Haaren und der leeren Weinflasche in der Hand. Er konnte schelmisch lachen, ja das weiss ich, Madame Kalaschnikoff nannte er dich, oder, was dich richtig in Rage brachte, er beförderte dich zur Obergefreitin der revolutionären 8.Spacebrigade, die er gründen wollte, indem er alle Gartenzwerge aus Bücklingshausen mit Silberlack besprayt und rosa Hakenkreuzen drapiert an der Westtangente aufstellen wollte. Ich weiß es doch, wir waren hier auf diesem Dach gesessen, was man damals noch konnte, bevor es in Luxuswohnungen verwandelt wurde. Du brichst ab, ich weiss, es kommt der zweite Bourbon, on the Rocks, wie immer. Warum sprichst du auf einmal über ihn, als liebest du ihn noch? Du hattest ihn doch nie erwähnt? Er war doch an der Kunstakademie und wohnte nur diesen stickig heissen Sommer bei uns. Der Wein ist getrunken, jetzt greifst du in die Tasche, Maria, ja du nimmst ein Buch, als wollest du daraus lesen, ich weiss, ein Buch, ein Kunstband offenbar, das ist es, was du mir zeigen willst, eine Laudatio zu einer Stiftung, die auf der Rückseite mit schlechter Grafik verziert ist und auf deren zweiten Seite eine Widmung der Kultusministerin ist.

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Schönheit ist planbar

Architektur / Denken / Geschichte

Für Unkundige, die zum ersten Mal eine mittelalterliche Stadt durchwandern, erscheint diese als ein Gewirr krummer und unregelmäßig breiter Gassen, das allmählich entstanden sein müsste und bar jeder gestalterischen Ordnung wäre. Sie übersehen dabei, dass dem allen ein exakter Plan zugrundeliegen könnte, der uns nicht mehr zugänglich ist. Stadtplanung beruht in diesen Augen auf dem rechtwinkligen cardo und decumanus der Römer, der geometrisch exakten Idealstadt der Renaissance oder dem grid der Städte in den USA. Als das Mittelalter in der Romantik en vogue wurde, hatte Stadtplanung bereits sehr oft das starre Raster aufgegeben und geschwungene Strassen geplant. Doch umstritten ist seitdem, inwieweit mittelalterliche Städte geplant oder Ergebnis einer chaotischen Bebauuungspolitik waren.

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